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02 July 2007

Daniel Stiefel: Vernissagerede, ... eine Polemik


Vernissagerede Abschlussausstellung
Gestalterischer Vorkurs Erwachsene 06/07
19.Juni 2007

........eine Polemik in ca. 8 Minuten

Liebe Studierende, sehr geehrte Damen und Herren, kennen sie das Swiss Art Sharkforum? — den Schweizer Ableger eines amerikanischen, kunstkritischen blog, eingeführt und redigiert von Mark Staff Brandl, (der immer noch nicht am GBS unterrichtet!) Dort finden sie die kritischen Stimmen zu zeitgenössischer und unzeitgenössischer Kunst, die sich von den offiziellen Organen manchmal, aber hoffentlich immer öfter, wohltuend unterscheiden.

Kunstvermittlung ist keine Einbahnstrasse. Der Betrachter kann seine Meinung bekunden, wird in diesem Fall nicht als dummes und unwissendes Museumsvieh gehändelt. So ein blog ist natürlich POLEMISCH. Und Polemik steht Künstlerinnen und Künstlern sehr wohl an. Ist geradezu ihr Brot, wenn die Kunstgesellschaft immer und immer noch Provokation fordert, und Unbequemes.

Marcel Duchamps Pissoir war vor bald 100 Jahren als polemischer Antimuseumsschocker gedacht, heute klebt es jedem Museumskurator im Mundwinkel. Ja die gesamte zeitgenössische globale Hochkunst hat aus diesem Schüsselchen getrunken, die Museen gefüllt.

Uns fehlt die Polemik über Kunst - Polemik. Als Publikum versiegt unser Interesse, wenn wir nicht auf sie reagieren können, es ist nicht wie fernsehen, und was bringt eine Kunst ohne Publikum? Die Vervielfachung des künstlerischen Angebots in den letzten 10 bis 15 Jahren (Museen, Kunsthallen, Events usw. ) hat keine Hebung des Interesses für Kunst gebracht, es bleibt bei 5 bis max. 10 Prozent der Bevölkerung, die das Angebot mehr oder weniger regelmässig nutzt. Weitere 40 Prozent waren schon mal da mal dort, man nennt sie Eventgänger, aber die Hälfte der Bevölkerung lebt ohne Wahrnehmung des Kunstangebots.

Für St.Gallen heisst das: die Panzerplattentüren des Kunstmuseums haben dem grössern Teil der Bevölkerung erfolgreich widerstanden! Ich vergass zu erwähnen, dass bei den fünf bis zehn Prozent der am Kunstangebot Interessierten auch Theater, Tanz und Konzert, kurz alles Hochkunstkarätige berücksichtigt wurde..
Soviel zur provokativen Wirkung!

Dabei geht die Provokation in Gegenrichtung: Grosse Teile der Bevölkerung schauen nicht, und hören kaum in diese Kultur da hinein. Das ist für mich die GRÖSSTE PROVOKATION. Gut, man arbeitet ja daran. Für mehr Oeffentlichkeit dürften sicher die aufgeblasenen Preise für Kunst sorgen, die so gern verbreitet werden und den Wägschauern immerhin den Fetischwert der Kunst beweisen. Oder die überall startenden Biennalen und Ausstellungen: Noch nie wurde ich soviel auf sie angesprochen, von allerart Menschen und Medien, wie dies Jahr. Die Kunst ist im Focus. Die Menschenschlangen lang. Es riecht aber auch irgendwie nach neulicher Papsteuphorie, nach dem ewigen Pathos abgeschnittener Malerohren, oder nach dem Märchen der toten Königin der Herzen.

Kurzum, es riecht nach Publikumserfolg. Aber es riecht weniger nach besessen, als nach beflissen!

Jetzt werden sie, meine Damen und Herren, zurecht sagen, Was will denn der? Die Beachtung steigt, und Gewohnheit macht schön......... Ist offenbar auch wieder nicht recht. Nein, das Publikum ist natürlich herzlich eingeladen. Je zahlreicher, desto besser.

Das Problem liegt für mich anderswo. Es liegt an der Schnittstelle zwischen Kunst und Publikum. Lassen Sie mich das polemisch an zwei Beispielen erklären: Eine Heidi - Neuverfilmung die man sah, und desgleichen 2 bekannte Werke von Pippilotti Rist.

Die St.Galler ahnen schon....., aber ich will die Lotteriefondsbeitragspolitik beiseite lassen, ich hab nur die Namen von da! Die Werke, von denen ich
spreche, sind bezahlt! Die mancherseits als drittklassige Schriftstellerin qualfizierte Johanna Spiry schreibt ein erstklassiges Buch. Das sagen mir viele, viele Frauen über das Heidi: Ein Lieblingsmädchenbuch, ein persönlich wichtiges Buch, mit einem für seine Zeit (1854) äusserst, fortschrittlichen Mädchenbild. Heidi, das ‚taffe’ girl, wird von Mädchen aller Nationen und aller Alter bis heute verstanden, geliebt und geachtet. Während viele Jungen zum ersten mal darin erfahren, dass wir Buben alle
irgendwo Hosenpeter sind!

Die Neuverfilmung relativiert dieses von Mädchen so geschätzte Selbstbild allerdings in pointierter Weise: die Idee der Einführung des Computers soll zwar Zeitgenössigkeit suggerieren, aber mit dem PC schleicht sich eine klassische Männerüberlegenheitslüge ins Spiel. Im Original Buch bringt HEIDI dem Peter das Lesen und das Schreiben bei, und das will etwas bedeuten! Im Film bringt der BUB dem Mädchen das mailen bei!

Oh, das Aktualisierte entpuppt sich als das Alte, die Kirche kehrt ins Dorf zurück! Dem sogenannt Neuen haftet hier Reaktionäres an. Damit möchte ich zurückkommen auf das grosse Publikum. Wenn es schon in die Kultur blickt, hat der Künstler, in diesem Fall der Regisseur doch eine Pflicht, die Geschichte werktreu darzustellen, und sie nicht mittels Aktualisierungskitsch zu verfälschen! Je grösser das Publikum, desto folgenreicher die künstlerische Verantwortung. Heidi nun hat ein globales Publikum!

Pippiheidi aus Buchs dagegen schlug charmant Autoscheiben mit Rosen ein, ein eigentlich hilfloses Hippiemuster . Fröhliche Anarchie aus dem Haus "Ironie zur Beschönigung von Machtverhältnissen". Die Macht, um die es da geht, fürchtet nicht die Ironie, die Macht fürchtet allein den Spott! Die Strasseninstallation in St.Gallen hat ja auch so ihre Tücken: Pippilotti legt, bei allem Respekt für ihre grossartige Ehrung des Passanten, der Videoüberwachung im öffentlichen Raum geradezu den roten Teppich.

Zweckmittelheiligung! Sie mögen sagen, dass sei kleinliche Polemik zu Nebensächlichkeiten. Ja natürlich, ganz meine Meinung, aber es liegt im Wesen der POLEMIK, die Fakten anders zu gewichten und neu zu betonen und umzustellen und, wie sie wissen, NIMMT DIE KUNST DASSELBE FÜR SICH IN ANSPRUCH.

Diese Installation findet im öffentlichen Raum statt. Der öffentliche Raum ist schon länger der allgemeinen Aesthetisierung preisgegeben, er wird von „Geschmacksträgern“ besetzt. Was sonst in musealen Sicherheitszonen stattfindet, wird weit öffentlicher! Die Videolücken werden sich schliessen. Schafft sowas Behagen? Gilt die vielbesungene Freiheit der Kunst nur für die Künstler? Allein schon das Gefühl, beobachtet zu werden, ändert meine Beziehung zu diesem schönen Platz in St.Gallen.

Künstler-Innen haben eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, wie ich schon erwähnte. Und die drückt sich oft in solchen Details aus. Handkehrum hat auch die Gesellschaft eine Verantwortung gegenüber der Kunst. Sie hören das Wort antworten ja heraus! Verantwortung heisst ja antworten MÜSSEN! Das gehört zur Freiheit der Gesellschaft, (ein Ausdruck übrigens, den man weit weniger hört, als „Freiheit der Kunst !“)

Liebe Studierende, antworten Sie als Gestalter-Innen , als Künstler-Innen, aber vor allem als Mitglieder unserer Gesellschaft - und seien diese Antworten auch PROVOKATIV UND POLEMISCH!

Herzlichen dank für Ihre Aufmerksamkeit
Daniel Stiefel (Künstler, Lehrer, Fach: Körper und Linie)
GBS, Schüle für Gestaltung

17 May 2007

Corinne Schatz: LUCIE SCHENKER, Zeichnungen.


Katharinen St.Gallen, 28. April bis 20. Mai 2007
Vernissageansprache 27. April 2007

Viele von Ihnen haben vor einigen Wochen die Einladungskarte zu dieser Ausstellung erhalten, und darauf ein seltsames Gebilde, etwas Körperhaftes mit eigenartigen Ausbuchtungen, Nippeln oder Warzen, gesehen. Ebenso stark traten aber auch die Strukturen und feinen Fältchen einer überspannten Haut in den Vordergrund. Es berührt seltsam, dieses Bild, das "Ding" wirkt zugleich lebendig und unnatürlich, man spürt beinahe körperlich, ja schmerzhaft, die Dehnung und Spannung, die diese Haut fast zum Reissen zu bringen scheint. Es ist also keines jener luftigen, schwebenden, manchmal atmenden Gebilde, die Lucie Schenker in den letzten Jahren aus diversen Kunststoffen geschaffen hat, eine andere Richtung kündigt sich schon in dieser Karte an.
Spätestens mit dem Betreten der Ausstellung aber wird offenbar, dass die Künstlerin einen neuen Weg beschreitet.
In den Graffit-Zeichnungen, die sie in den letzen zwei Jahren geschaffen hat, begegnet man Formen, die zugleich vertraut und fremd wirken. Man erkennt Körperliches, ist sich jedoch oft nicht sicher, um welche Körperteile es sich handelt. Darüber scheinen sich dünne Häute zu spannen. Manchmal wirken diese weich und schmeichelnd, ein anderes Mal jedoch fast schmerzhaft gedehnt und gezerrt, dann wieder sind Körper und Haut "in Einklang", verwachsen als ein Ganzes. So finden wir in den Blättern hier ein Knie, dort eine Schulter, oft aber auch Formen, die wir sogar mit anatomischen Grundkenntnissen kaum identifizieren können. Vielleicht kann hier und da die Kunstgeschichte Hilfe bieten:
Die Vorlagen findet Lucie Schenker nämlich bei den Künstlern der Vergangenheit, bei Michelangelo und seinen gewaltigen Figuren der Sixtinischen Kapelle, in Ingres' fein modellierten Körpern, oder auch in Mapplethorpes athletischen Männerakten. Es sind meist Werke, in denen die Plastizität der Körperdarstellung besonders hervorsticht. Einige der Zeichnungen sind nach einem lebenden Modell entstanden. Durch Lucie Schenkers Hand erfahren nun diese Körperausschnitte eine eigenwillige Verwandlung. Das Fragmentarische steht nicht im Vordergrund, vielmehr vervollständigt die Künstlerin ihre Rücken-, Arm- oder Beinpartien zu in sich geschlossenen Formen. Sie schafft auch nicht Abstraktionen der menschlichen Figur, sondern nimmt skulpturale Formen auf, die sie aus den Körpern herauslöst und umschliesst. Diese Formen schweben schwerelos im Raum der transparenten Blätter. Die Plastizität der Hell-Dunkel-Modellierung wird sorgfältig übernommen, jedoch lassen die Fältchen und Dehnungen der Umhüllungen in ganz eigenartiger Weise die Oberfläche in den Vordergrund drängen.
So kippt unser Blick vom Körperhaften zum Oberflächlichen und zurück, ein Wechselspiel, welches die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung in stetiger Spannung und Bewegung hält. Die Künstlerin bricht unsere Sehgewohnheiten, indem sie den menschlichen Körper durchsichtig macht, ohne ihn seiner Haut und seiner Plastizität zu berauben.
So weit sich Lucie Schenker mit ihren neuen Zeichnungen von ihrer bisherigen Arbeit zu entfernen scheint, so nahe sind sie dieser doch gerade in der eben beschriebenen Wechselwirkung und Ambivalenz. Bereits in den geometrischen Draht- und Gitterobjekten zeigt sich dies als eines ihrer grundlegenden Themen: die Verbindung von nach aussen geschlossener Masse und deren Durchdringung durch Transparenz. Eine Dreidimensionalität, die sich in fortwährendem Wandel in Transparenz auflöst und wieder zur Masse konkretisiert.
Dieses Thema lässt sich in fast allen ihren Werkgruppen mehr oder weniger deutlich erkennen: In den Gebilden aus Kunststoffgeweben, die mit der raumfüllenden Arbeit in Rapperswil sozusagen ihren Höhepunkt und Abschluss fand (und wo übrigens auch die ersten Vorboten der neuen Richtung zu sehen waren, nämlich einige Zeichnungen von Händen, die in darüber gespannten Gummihandschuhen steckten), war die leichte Durchsichtigkeit der Stoffe, welche sie als eine Art Lichtgebilde, oder Wolken erscheinen liessen, offensichtlich.
Erinnert sei auch an die Fotoserie, die Lucie Schenker von ihrem Rom-Stipendium zurückbrachte: Dutzende von Gebäuden, die hinter Gerüsten in halbtransparente Baugewebe eingehüllt waren.

So sehen wir, nach der ersten Überraschung, dass der neue Weg durchaus eine innere Logik und Konsequenz hat. Das Spannendste beim Begleiten einer Künstlerin, eines Künstlers über mehrere Jahre ist es, mitzuerleben, wie sie innerhalb ihrer Themen, ihrer Fragen, ihrer Suche, immer wieder neue Elemente, neue Möglichkeiten, neue Formulierungen und Formen, andere Richtungen entdecken.

Nun interessiert einen immer auch die Frage: Wo gibt es Verbindungen zu anderen Werken, anderen KünstlerInnen? Wie unterscheidet sich ein Werk von verwandten Schöpfungen? Welche Antworten findet jemand auf Fragen oder zu Themen, die auch andere beschäftigt haben. Oder wo liegen ähnlichen Formen ganz unterschiedliche Themen und Motivationen zu Grunde. Hier fallen mir spontan zwei Schweizer Künstlerinnen ein, die leider beide zu früh verstorben sind: Heidi Bucher und Hanna Villiger.


Heidi Bucher, die mit ihren Häutungen ganze Räume als Hülle des Menschen auffasste und in ihren riesigen Latexgebilden die materiell präsente und doch unsichtbare Innenhaut dieser Räume suchte. Das Äussere des Inneren, und zugleich das Innere des Äusseren schaffend. Die Haut erscheint hier als Pergament, in das sich die Geschichten und Schichten eines Raumes und seiner Bewohner einschreiben.
Oder Hanna Villiger in ihren Körperfotografien, insbesondere aus den Jahren 1994 und 95, (wovon auch in St.Gallen schon einige zu sehen waren), den Fragmenten ihres eigenen Körpers, die zu wandfüllenden, skulpturalen Kompositionen gefügt sind. Auch bei Hanna Villiger ist man berührt vom Zusammenspiel der plastischen Präsenz des Körperlichen mit der Fragilität und Verletzlichkeit der Haut, die diesen Körper umhüllt.

Zu den Zeichnungen bildet eine beinahe "echte Haut" den Kontrapunkt. Kopfüber aufgespannt zwischen Decke und Boden dehnt sich eine Latexhaut in Menschenform. Ein zwiespältiges Objekt, das einerseits in seiner Unversehrtheit eher als Umhüllendes, als zweite Haut, als seltsames Kleid, ja vielleicht obsessiver Schutzanzug anmutet, und andererseits ebenso stark befremdet, wenn es als abgezogene, vom Körper gelöste Haut betrachtet wird und diesen als schutzlos entblössten assoziiert.
Diese Ambivalenz von Zärtlichkeit und Grausamkeit, von Verhüllen und Enthüllen, von Sanftheit und Zwanghaftigkeit, die in vielen Zeichnungen spürbar wird, findet in diesem Objekt die dreidimensionale Entsprechung. Und sogar diese Dreidimensionalität ist unbestimmt, schwankt doch auch hier die Wahrnehmung zwischen der Flächigkeit einer aufgespannten Haut und der Plastizität der Falten und des mitgedachten Körpers.

Mit der Übertragung der Thematik von Körperlichkeit und Fläche, von Masse und Transparenz auf den menschlichen Körper und die Haut, betritt Lucie Schenker eine Welt, die unendlich viele Aspekte in sich birgt und in der Welterfahrung von jeder und jedem von uns eine existentielle Ebene berührt.



So möchte ich mit einem Zitat aus Michael Köhlers Text "Die dritte Haut" schliessen:

"Wo wir mit der Welt in Kontakt kommen, stossen wir auf ihre Oberfläche. Die Haut ist, was die Welt umspannt, und die Welt ist, was von einer Haut, einer Oberfläche umspannt wird. Durch die Haut berühren wir die Welt, und die Berührung verschafft uns den Zugang zu ihr."
(Michael Köhler: Die dritte Haut, in: Basler Magazin Nr. 45, 9.11.1996)


--- Corinne Schatz, St.Gallen, April 2007

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