Vernissagerede
von Alex Meszmer
Mark Staff
Brandl - The Hood in miim Chopf
Vadianbank, St Gallen
Sehr geehrte Damen und Herren,
Genau an den Tag kann ich mich nicht mehr erinnern, an
dem Mark und ich Nachbarn wurden. Aber es war im Herbst 2001 und wir waren
beide Kunstlehrer am Institut auf dem Rosenberg. Wir teilten das Klassenzimmer
und bei jeder Begegnung redeten wir über Kunst, die Kunstwelt, die
Kunstgeschichte. Wir ärgerten gegenseitig unsere Schüler, indem wir ihnen über
ihre Werke jeweils das Gegenteil erzählten… wenn solche Gespräche stattfinden,
beginnt eine Nachbarschaft, das war der Anfang von unserer ‘Hood’.
The Hood – das hat auch etwas von Horde, der
Stammeshorde, dem Zusammenschluss einer Gruppe in frühgeschichtlicher Zeit, die
angeblich etwa 80 bis 120 Mitglieder umfasste und mir wurde schon desöfteren
die These zugetragen, dass die Horde als attavistischer Mechanismus bis heute
in uns weiterwirke. So sollen auch unsere Adressbücher im Schnitt etwa 80 bis
120 Kontakte enthalten, mit denen wir dauernd im direkten Austausch stehen und
so angeblich die menschlichen Kapazitäten für den direkten Kontakt bestimmt
werden.
The Hood – die Nachbarschaft – können wir uns nicht
wirklich aussuchen. Das sind nicht nur Freunde, obwohl aus Hoodies auch Freunde
werden können. Es ist die Schicksalsgemeinschaft, die uns umgibt. Das ist die
nächste Umgebung, die mit einer Tasse Zucker oder Salz, etwas Kaffee oder mal
einer Schaufel aushelfen kann. Sie kennen das, nehme ich einmal an. The Hood
ist das kleine Dorf, das uns umgibt, egal ob wir in einer Megacity oder auf dem
Lande wohnen – auch in Berlin, Zürich, New York, London gibt es The Hood. Es
ist der Radius in dem ich mich bewege. Das kann Kreuzberg sein, Kreis 4,
Chelsea oder das Eastend. Eigentlich leben wir immer in einem Dorf.
Die Umgebung – the area – ist der Ausgangspunkt für The
Hood in miim Chopf. Mark Staff Brandl begann die Menschen in seiner
unmittelbaren Umgebung zu porträtieren. Aber es sind nicht nur Porträts. In der
Manier der Renaissance und Barock Maler wählte er zu jedem Porträtierten einen
Gegenstand oder liess ihn auswählen, der charakteristisch für die Person oder
die Personen ist. So wird jedes Werk zum Diptichon und jedes Porträt erhält ein
Bild mit einem Attribut und erweitert das Abbild der Person mit einer
Geschichte.
Attribute kennzeichnen in der Malerei die
Dargestellten. Die griechisch-römischen Götter, die Protagonisten aus der
Bibel, die Heiligen – sie alle haben Attribute, durch die wir die Personen, die
Bilder und damit die auf dem Bild erzählten Geschichten entschlüsseln können:
eine Muschel auf dem Meer, Perlen und die Dame ist nackt – das muss die Geburt
der Venus/Aphrodite sein; oder ein halbnackter Mann, an einen Baum gefesselt
und von Pfeilen durchbohrt – das ist der heilige Sebastian während seines
Martyriums.
Attribute findet man auch in der profanen Porträtmalerei
und das Spannende dabei ist: die Namen und die individuellen Lebensumstände
eines oder einer Porträtierten aus der Renaissance wissen wir vielleicht nicht
mehr. Aus der Kleidung und den Attributen können wir jedoch Rückschlüsse ziehen
auf den Beruf, den Stand und die Eigenschaften, die vom Maler hervorgehoben
werden sollten:
der tugendhafte Kaufmann, die vornehme Dame usw.
Mit der Zeit ändern sich die Wirklichkeiten der Bilder.
Wie entschlüsseln wir aber die 44 Attribute dieser 44
Bilder?
Um Ihnen ein Beispiel zu geben, entschlüssele ich
Ihnen, was es mit unserem Porträt und unserem Attribut auf sich hat:
So wie Mark Staff Brandl in Trogen, in der
Nachbarschaft von St Gallen lebt, leben wir – mein Partner Reto Müller und ich
– in Pfyn. Das ist auch in der Nachbarschaft von St Gallen – aber für St Gallen
ist der Thurgau gern eher weniger Nachbarschaft, als tiefe Provinz.
Pfyn hat seinen Namen vom spätrömischen Grenzkastell
Ad Fines und Reto und ich leben in einem Haus, das auf den Mauern dieses
Kastells gebaut ist. Die römischen Mauern waren auch der Grund für ein
Kunstprojekt – der zeitgarten und das Transitorische Museum zu Pfyn – and dem
wir seit bald zehn Jahren arbeiten. Ad Fines übersetzt heisst an der Grenze,
aber vielleicht auch: am Ende der Welt. Ein römischer Soldat, der vor 1700
Jahren nach Pfyn versetzt wurde um dort Dienst zu leisten, fühlte sich
wahrscheinlich noch viel mehr in die Provinz verdammt, als ein St Galler, der
heute in den Thurgau zieht.
Der Gegensatz zwischen dem Zentrum und der Provinz und
die Gefühle, die diese verbinden, das hat uns interessiert, als wir vier Jahre
lang versucht haben, eine antike römische Säule von Rom nach Pfyn zu bringen
und es ist die römische Säule, die unser Attribut darstellt. Sie sehen unser
Attribut verweist auf einen Aspekt unserer Arbeit.
Gleichzeitig kreist das Thema um eine Diskussion, die
Mark und ich seit Jahren führen: Was ist Provinz? Was ist ein Zentrum? You
always live in a village, sagt Mark dazu. Die Kunstwelt, das Dorf in dem wir
Künstler imaginär leben, ist eben auch: ein Dorf. Die Kunstkritikerin Annelise
Zwez sagte dazu einmal: Wir in der Kunstwelt leben auf einer sehr kleinen
Insel. Vielleicht ist die Kunstwelt noch abgeschlossener als ein Dorf im
Appenzell.
Und vielleicht hat das damit zu tun, dass Kunst gerne
als elitär betrachtet wird, auch wenn sie dies längst nicht mehr ist. Elitäre
Kunst ist für den Adel gemacht, sagt Umberto Eco, nur der Adel hat auch die
Zeit und die Musse sich in Kunstwerke hineinzudenken und sich ganz in der
Auseinandersetzung eines bestimmten Aspekts zu vertiefen. Der Adel ist aber
auch eine aussterbende Spezies.
Mark Staff Brandl behandelt alle Personen und ihre
Attribute in seiner Bilderserie gleich – da könnte man ihn als einen
demokratischen Maler bezeichnen.
The Hood in unserer heutigen Welt betrifft natürlich
auch unsere virtuelle Umgebung: Facebook, Twitter, Instagram, tumblr.
Social Media hat The Hood erweitert und wir
diskutieren Ausstellungen, Philosophie und Kunst mit Menschen, die wir im
analogen Leben vielleicht nie getroffen hätten.
Interessanterweise ist dies keine neue Erfindung, denn
Grenzen überwindende Kommunikation in der Kulturwelt existiert seit der
Erfindung transportierbarer Botschaften.
Trogen mit den Zellwegern, ihren Kontakten und ihrer
ausscheifenden Korrespondenz im 18./19. Jahrhundert bietet dazu ein Beispiel.
Trogen – The Hood, Marks Nachbarschaft – da ist sie
wieder und diesmal im historischen Kontext.
Als ich Mark Staff Brandl vor bald 15 Jahren
kennenlernte, bezeichnete er sich als konzeptueller Maler. Er denkt in
kunstgeschichtlichen Dimensionen und seine künstlerische Nachbarschaft geht
weit über Trogen, die Ostschweiz und auch die Schweiz hinaus. Wären Zeitreisen
bereits erfunden, Mark würde sie nutzen um direkt in die Ateliers der Künstler
aller Zeiten zu reisen, um mit ihnen zu diskutieren. Er wäre mit Sicherheit dauernd
unterwegs. Er weiss, was er tut und bei allem, was er tut, kommt er immer
wieder auf die Malerei zurück. Malend experimentiert er mit dem Bezug zu
Geschichte und Kunstgeschichte, mit Kontext, mit Kultur, seiner sozialen
Umgebung, mit philosophischen und soziologischen Aspekten und er dokumentiert und
kommentiert was um ihn herum passiert.
Nehmen wir heute Abend als Beispiel. Wir befinden uns in
einer Bank. Hier geht es um Bares und Banknoten. Wenn der Künstler, seinen
Porträtierten anbietet, dass sie die Bilder gegen Aktivitäten, Dienstleistungen
oder andere Objekte tauschen können, ist das von vorneherein mitbedacht, auch
eine kleine Rebellion und steht im Kontext mit dem Ausstellungsraum an sich.
Was unser Attribut zu unserem Porträt bedeutet, habe
ich Ihnen enthüllt. Jetzt bietet sich aber für Sie, sehr geehrte Damen und
Herren, heute endlich einmal die Gelegenheit, den immer etwas peinlichen
Smalltalk an Kunstvernissagen zu umgehen. Sie können mit den anwesenden
Porträtierten ganz locker ins Gespräch kommen, indem sie über die Geschichten der
Attribute reden. So können wir heute Abend von einem Kunstpublikum einer Ausstellung
ganz einfach zu Nachbarn werden. Dann sind wir The Hood. Brandls Hood! nicht
nur in seinem Kopf.
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