Mit „Re-object“ versucht das Kunsthaus Bregenz, Duchamps Ansatz des Readymades neu zu denken: Es soll zurückgestellt werden in den Kontext des Ateliers um dort als „Instrument künstlerischen Denkens und Handelns“ zu fungieren. Herbert Molderings hat ein paar der Schlüsselwerke ausgewählt - das Urinoir, die Schneeschaufel und das Fahrrad-Rad – die zusammen mit einer boîte-en-valise, der Weissen und der Grünen Schachtel einen kleinen Einblick in das Denken Duchamps geben. Zusammen mit Werken von Gerhard Merz, Damien Hirst und Jeff Koons soll die Idee des zur Kunst gewordenen Alltagsobjekts weiter verfolgt und vertieft werden – so weit so schön!
Eigentlich ist der unterste Raum im KuB unbespielbar – als Besucher drängt es einen immerzu nach oben und es braucht viel, vielleicht auch viel Anstrengung gegen die Architektur, um einen dazu zu bewegen, Arbeiten im Erdgeschoss wirklich länger zu betrachten. Schnell wirkt die Kunst hier verloren und abgestellt.
Molderings Idee, Duchamp im Kontext seines Ateliers zu zeigen, ist ein hübsches Gedankenexperiment. Vielleicht haben Kunsthistoriker ihre ganz eigene Vorstellung, was es bedeutet, Arbeiten im Atelier zu betrachten. Ein paar grosse, reproduzierte Schwarzweissfotos können zwar zeigen, wie es bei Duchamp aussah, ich bezweifle allerdings sehr, ob dadurch der Kontext Atelier auch für den Betrachter geschaffen wird.
Nice concept – but it won’t work!
Interessanter finde ich den Gedanken, Duchamps Spiel mit Alltagsobjekten nachzuforschen und sich vor Augen zu führen, was sich bei der Betrachtung von Gegenständen verändert hat.Industriell hergestellte Produkte sind für uns Alltag. Es ist selbstverständlich, dass sich Designer um das wechselnde Aussehen dieser Produkte kümmern, die rationell gefertigt werden. Die Herstellungsprozesse sind automatisiert und Handarbeit ist so selten geworden, dass sie extra deklariert wird. Preisunterschiede ergeben sich vor allem durch das Label und weniger durch die Qualität.
Die Industrialisierung im 19. Jh. bedingt gesellschaftliche und politische Veränderungen. Wir kennen die Geschichte der Arbeiterbewegung und die Anfänge unserer politischen Systeme. Die Geschichte der Alltagsprodukte erscheint weniger interessant. Jedoch: Vorbilder für die ersten industriell hergestellten Produkte waren die als besonders schön geltenden Handwerksarbeiten. Es galt die handwerkliche Arbeit möglichst gut zu imitieren und die schöne Form ergab sich aus dem Traditionellen.Die Euphorie, all diese schönen Dinge viel einfacher und billiger herstellen zu können, liess die Hersteller in den Jahrhunderten und Epochen wildern.
Als man begann Gebäudeformen für Grossbauten wie Fabriken, Energiewerke oder Bahnhöfe zu suchen, griff man zurück auf das, was es gab: Schlösser und Burgen, Klöster und Kirchen waren Bautypen die vorhanden waren und deren Formen den neuen Bauten lediglich angepasst werden mussten. Es scheint uns natürlich, dass die ersten Autos aussahen wie Kutschen ohne Pferde! Alles Technische wurde argwöhnisch betrachtet und die Verzierungen und Ornamente versuchten auch, die Technik zu Verbergen und den Menschen die Angst vor dem Neuen zu nehmen.
Industriedesign wurde vom Bauhaus erfunden – Peter Behrens verpasste AEG ein corporate design und stand an der Spitze einer Entwicklung, die reproduzierte, traditionelle Formen als überholt ansah und begann neue Formen zu suchen.
Das alles stak noch in den Kinderschuhen, als Marcel Duchamp begann über Readymades nachzudenken. Duchamp war ein Quergeist, der sich nach einem fulminanten Beginn in der Malerei auf das Denken zurückgezogen hat. Die Diskussionen, die um sein Werk kreisen, binden ihm zuweilen Bedeutung auf, die sich aus unseren persönlichen Zeiterfahrungen speisen. Vielleicht wird an Duchamp noch schneller deutlich, was es heisst, einem Künstler seinen Platz in der Kunstgeschichte zuzuweisen, drückt er sich doch vor einer eindeutigen Stellungnahme, wo immer es geht.
Duchamp spielt ein Spiel. Und er wusste sehr genau, wie er es spielen muss, um Kritiker und Kunsthistoriker zu fesseln. Seine Notizen und Zettelchen, die er zum Beispiel in der Weissen und Grünen Schachtel vereinigt hat, zeugen davon. Er wusste, wie ein Kunsthistoriker beginnt Kunst zu lesen, zu deuten, zu interpretieren und zu analysieren. Auf die Spur gebracht, wird er den Anspielungen folgen, in seinem Leben Entsprechungen suchen und Bedeutung durch einerseits persönliche, andererseits biographische Details erkennen wollen. Der Kunsthistoriker ist ein Deuter der Symbole und ein Fährtenleser, der seine Aufgabe in der Entschlüsselung von Kunst erblickt. Er muss das vom Künstler aufgeworfene Rätsel dem Publikum darbringen. Duchamp machte nie ein Hehl daraus, dass er die Bedeutungszuweisungen und Symbole in seinen Werken als absolut überflüssig einschätzte. Aber er benutzte sie, weil er Spass und Freude an Verschlüsselungen und an Sprachspielen hatte.
Duchamp veranstaltet eine intellektuelle Schnitzeljagd auf der Suche nach Sinn, einen gebildeten Kindergeburtstag – wenn man ihn glaubt inhaltlich lesen zu müssen. Seine Alltagsobjekte sind Zwischenformen. Sie sind gefälschtes Handwerk. Sie repräsentieren Dinge, die nicht das sind, was sie suggerieren. Erst Benjamin wird später versuchen die Kunst von diesem Weg abzubringen, der Suche nach dem Falschen. Benjamin führt den schwammigen Begriff des „Auratischen“ einer bürgerlichen Kunstvorstellung ein, der auch gegen eine intellektuelle künstlerische Geste Duchamps gerichtet ist. Vielleicht liegt der Fehler einfach darin, Duchamp unbedingt entschlüsseln zu wollen? Vielleicht liegt er darin, seine Arbeiten inhaltlich zu verstehen?
Die Moderne hat mit allen Traditionen gebrochen und provoziert. Künstler haben austariert, wie weit sie gehen können und welche Tabus brechbar sind. An der allgemeingültigen traditionellen Form zu rütteln und neue Ausdrucksformen zu suchen, war die grosse kreative Leistung dieser Zeit. Ich denke, man muss auch die Werke der Moderne als formale Arbeiten erkennen und als solche lesen. Sonst wird man ihnen nicht gerecht. Hier liegt vielleicht auch das Missverständnis, das es dann etwa hundert Jahre später erlaubt, einen fanatischen Pedanten, einen sammelnden Möchtegern-Bohemien und einen Börsenhändler in die gleiche Reihe zu stellen.
1 comment:
Elias Wundersam hat gesagt,
Bravo Max, schön gesagt Duchamp spielt ein Spiel, um Kritiker und Historiker zu fesseln. Den Fährten der intellektuellen Schnitzeljagd am Beispiel gefälschten Handwerks, eifern bis heute viele Nachzügler immer noch nach. Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen ist das Labyrinth der Innovationen längst zum intellektuellen Sandkasten
geworden, wo sich die kreativen Versteckpiele frei entfalten dürfen. Aber die Zeit bleibt nicht stehen
und sie lässt sich nur scheinbar manipulieren...
www.kuenstlerarchiv.ch/herbertkopainig
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