MSB brainstorming

08 December 2006

Max: Kunst im Zeitalter ihrer virtuellen Materialität




Wenn wir die Moderne als eine Reaktion auf die Industrialisierung und die daraus notwendig gewordenen gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen verstehen, können wir den Akademismus des 19. Jh. und die historistischen Auswüchse in Architektur und Design anders wahrnehmen.
Unter dem Druck Vorlagen für industriell herstellbare Waren zu finden, war es einfacher in Völkerkunde- und Bauernhofmuseen nach der guten handwerklichen Form zu suchen, als sie sofort neu zu erfinden. Auch für die neu entstandenen Fabriken, Bahnhöfe und Elektrizitäts-, Wasser- und Gaswerke boten sich die bisherigen Vorlagen von Grossbauten, also Kirchen, Burgen und Schlösser an, hinter denen sich, die noch neue und ängstlich betrachtete Technik verstecken konnte, ohne gleich als Bedrohung verstanden zu werden.
Die Rückkehr zu traditionellen, akademischen Themen und Darstellungen halfen die Illusion aufrecht zu erhalten, dass sich im Leben eigentlich nichts wirklich verändert hatte und das neu aufstrebende Bürgertum konnte sich mit Insignien ausstaffieren, die vorher dem Adel vorbehalten waren.

Die Künstler der Kernepoche der Moderne fungierten so als enfants terribles, die versuchten auf die Entwicklungen der Zeit einzugehen, sie darzustellen, mit ihnen umzugehen und für die Kunst einen Platz zu suchen, der ausserhalb der Tradition und der Geschichte stand. So wurde die Kunst politisch, zum Teil agitatorisch und musste notgedrungen auch provokativ werden. Die politischen Entwicklungen des Sozialismus und Kommunismus, die zu Beginn noch fördernd für die neuen Ideen in der Kunst gewirkt hatten, drehten dieses Verhältnis sehr schnell um, sobald sie an der Macht waren und versuchten die Kunst als ideologisches Sprachrohr zu instrumentalisieren. Zu gross war die Furcht vor der Macht der Künstler und ihrer freigeistigen Ideen, die „zersetzend“ für die neu etablierten Systeme wirken konnten, wenn sie ihre Mittel gegen sie eingesetzt hätten.

Was danach kam an Entwicklungen in der Kunst, wird seither diskutiert und in immer neuen Formen von Post- Postpost- oder Postpostpostmodernen eingeteilt - die Übersicht über das ganze Feld ist lange schon verloren gegangen.
Die Avantgarde-Idee als tragende Kraft der Moderne, die in der Postmoderne weiter verfolgt wurde, hat Hannes Böhringer in seinem Aufsatz: Attention im Clair-obscur: Die Avantgarde (z.B. in Aisthesis, Leipzig 1990) ausführlich diskutiert und als gesellschaftlich-dekadentes Spiel einer gelangweilten Kunstgemeinde dargestellt. Diese Formen der Kunstentstehung und Wahrnehmung sind für die zeitgenössische Kunst nur noch bedingt aktuell.

Doch, was geschieht wirklich?

Wenn wir uns im rein Kunst-immanenten Raum von Produktion, Ausstellung, Rezeption und Kritik, Verkauf und Sammlung bewegen, schaukeln wir in einer kleinen Schaluppe des Wissens über ein endloses Meer der Möglichkeiten, dem Paul Feyerabend nicht umsonst die Charakteristik „Anything goes“ zugestanden hat.

Man könnte hier natürlich einflechten, dass dies kein Wunder sei in einer Zeit, in der die Intellektuellen von einer Philosophie des Strukturellen und Fragmentarischen bestimmt werden und Universalismus als unmögliche und ausgestorbene Tugend siechender Kulturleichen betrachtet wird. Dass diese Geisteshaltung in einem Land mit einem stark zentralistischen System entstanden ist, das noch aus einer anderen Zeit stammt und dessen kulturelle Bildung stark akademisch und auf Bewahrung ausgerichtet ist, wird dabei gerne unter den Tisch gekehrt oder gekonnt übersehen.

Nach der industriellen und technischen Revolution im 19. und frühen 20. Jh. setzte eine Veränderung ein, die sich weniger auffällig in unser Alltagsleben geschlichen hat, aber immer präsenter wird – eine mediale Revolution. Radio und Fernsehen begannen die Zeitungen zu ersetzen, die Telekommunikation mittels Computer, Internet und elektronischer Post entstand, durch die Privatisierung von Radio- und Fernsehstationen öffnete ein Marktplatz, der die Welt kleiner werden liess. Im Eifer des Gefechtes und in der Freude über die neuen Möglichkeiten bescherte uns diese Entwicklung die Illusion, dass jeder Mensch alle Informationen immer und überall abrufen können wird.

Wir sind täglich einer Informationsflut ausgesetzt, die unser Leben dauernd mit neuen Bildern, Geschichten und Zusammenhängen konfrontiert und die eine wirkliche Übersicht nahezu unmöglich macht. Die Welt in unserem Kopf wurde kleiner, die Welt da draussen wurde es nicht. Die alltäglichen Probleme des Menschen des frühen 21. Jh. verlagern sich nun zunehmend in einen virtuellen Raum. Geld, Waren, Werte werden in der Virtualität geschaffen und verloren, Beziehungen werden über digitale Fotos und durch elektronische Nachrichten geknüpft, jeder Mensch kann Informationen über sich und die Welt veröffentlichen, seine Ideale und seine Perversionen entfalten, seinen religiösen oder politischen Gefühlen Ausdruck geben. Auffällig wird dies nur, wenn die Virtualität in das reale Leben einbricht.

Unser Leben wird immer konzeptueller und da das Leben die Kunst inzwischen eingeholt hat, versucht die Kunst das Leben zu erhaschen.

Was heisst das für uns Künstler? Ich weiss es nicht.

Ich sehe die Entwicklungen und Tendenzen: Künstler imitieren Wissenschaftler, Firmen oder den Alltag, sie benutzen traditionelle Techniken und malen und meisseln, sie werden Agitatoren oder Dokumentarfilmer, sie spielen mit den neuen Techniken und alten Vorstellungen – und zugleich wird langsam deutlich, dass es nicht darum gehen kann, in dieser Zeitepoche einen allgemeingültigen Stil, noch einen oder mehrere Ismen zu finden um das alles einmal ordnen zu können.

Vielleicht sollten wir den Blick wenden und überlegen, ob nicht auch die Kunst endlich ihre demokratische Wirklichkeit gefunden hat. In einer Demokratie bestimmt eine Mehrheit und die Minderheit geht in die Opposition, bis sie eine Mehrheit geworden ist. Unser Wertesystem – ob virtuell oder real – funktioniert vor allem über monetäre Vorstellungen und erfolgreich ist auch der Künstler, der es schafft sich monetär zu bewähren. Geistige Ideale und Vorstellungen sind schwerer zu bewerten und in der virtuellen Realität veraltet, sobald sich die Aufmerksamkeit einer neuen Sensation zugewandt hat. Die Kunst war und ist in ihrer Ausdrucksform immer elitär gewesen. Wir geben uns manchmal den Illusionen hin, dass dies anders wäre. Wenn dem so wäre, müssten wir Künstler unsere Strategien ändern. (max)

11 comments:

Mark Staff Brandl said...

Wonderful post, Alex! Tough, even hard, words --- however, great analysis of the situation. I think primaruily we need to conzemplate the metaphoric implications of our strategies of production and our associations (Anspleilungen) when dealing with these circumstances. On the one hand, retreat to imaginary conservative exclusiveness (decorative geo, expressionism, etc.) is not viable, it is a stick-your-head in the mud tactic. On the other hand, as I wrote below, your process (esp. as you state, when mirroring Ami-Yuppie-like monetary-worship) is active compliance and ignorance (as I wrote, in provocation, it creates "Neo-Konzept-Künstler als Möchtegern-Bürokraten" and "Karrierismus, Sophisterei und Kunst-Potentaten: die Berufsleiter ersetzt den Kunstverstand.")

The processes of production and distribution must refer to new developments in society, yet critique them as well. Neither hide from, nor worship them.

Anonymous said...

Jawohl Max. Das größte Problem, mit dem unserer Kunstwelt je konfrontiert ist, sei Unterwürfigkeit, wie auch Brandl angedeutet hat. So Voslensky, ist der „Karrierismus“: Gemeint ist das „Streben des Kandidaten nach einem führenden Posten und seine Bereitschaft, alles zu tun, um sich eines Aufstieges auf der hierarchischen Leiter 'würdig' zu erweisen.“ Dieser Karrierismus sei ein Kennzeichen der Nomenklatura an sich geworden, ein „geheimes Kriterium für die Auslese der Nomenklaturafunktionäre“. Die Betonung liegt auf der Bereitschaft, alles zu tun. Ähnlichkeiten mit lebenden Kunstwelt-Personen sind natürlich rein zufällig.

Eher als „Anything goes“, hat die 'Konzentration'der Kunstwelt inzwischen ein Ausmaß erreicht, bei dem der Unterschied zu einer zentralen Kommandowirtschaft wahrscheinlich nur noch mittels theologischer Sophisterei erklärt werden kann. Es ist leicht, die uralte Forderung „jedem nach seinen Bedürfnissen“ zu erfüllen, wenn die Bedürfnisse mittels Gehirn/'Geschmack'-wäsche und Machtdemonstrationen gleichgeschaltet werden.

Anonymous said...

Hallo Max,warum gibt es denn diese Furcht vor freigeistigen Ideen bis heute und wer hatte ebensolang immer ein Interesse, sie systematisch zu instrumentalisieren ! Die systemkonforme Kunst im postpostpostmodernen Outfit zeigt sich heute als Einheitsbrei der allzuvielen Köche, die sie kuratorisch verwaltet, schmackhaft machen, oder eben "bevormunden". Die vielgepriesene Scheinfreiheit wird subventioniert , gehegt und gepflegt! Ein "Tun als Ob"
auf global angelegten Freiwiesen und
Kunstspielplätzen, zum Austoben der kreativen Allüren. Mit Superstar-
Ateliers und Annerkennungs-Ranglisten
werden nur die Besten auserkürt bzw. Unerwünschtes ausgetrimmt. Und es sind doch schliesslich gewählte Fachleute, die durch den numerus clausus,dem Rest der Welt und den unmündigen Laien ein hochstehendes Niveau garantieren!

Gar nicht auszudenken, was uns tatsächlich eine freie Kultur mit freien Universitäten bescheren würde!, wenn die Relation von Kreativität, Politik und Kunst tatsächlich nicht nur scheinbar, in Tat umgesetzt werden könnte.

www.kuenstlerarchiv,ch|herbertkopainig

max (alex Meszmer) said...

Die Furcht vor dem Neuen und die Furcht vor freigeistigen Ideen gab es schon immer. Innerhalb einer hierarchisch streng organisierten Ordnung gab es nur vielleicht einfachere Methoden Freigeister loszuwerden. Allerdings ist es müssig zu diskutieren ob es früher einfacher oder härter als heute war um Neues durchzusetzen.

Die Zeiten ändern sich, die Menschen ändern sich, die Systeme ändern sich.
Wir vergessen manchmal in unserer kleingeistigen Vorstellung vom Leben und der Welt - und ich persönlich tendiere immer mehr zur Idee, dass der Mensch als Solipsist geboren ist - dass es vor uns und nach uns Menschen gegeben hat, ebenso wie Entwicklungen und Ideen und dass wir alle Menschen sind, die uns gegenseitig das Leben schwer machen.

Das System Kunst hat sich in der noch heute gebräuchlichen Form innerhalb der Moderne entwickelt. Es gibt Tendenzen - die Museen z.B. - die noch aus älterer Zeit stammen und deren Haltungen auch in einer Zeit entwickelt wurden, die grundsätzlich anders war als unsere Zeit.

Doch warum die Augen verschliessen und heulen und wehklagen über die Situation wie sie ist?
Es gibt auch in der Kunstwelt Entwicklungen, die diesem Trend entgegenwirken, die versuchen einen anderen Weg einzuschlagen als den herkömmlichen.
Die Ausbildunsgsituationen an den Akademien, die sich vermehrt einem Trend zur Vermittlung von Überlebensstrategien für Künstler verschreiben und weggehen von den ursprünglichen akademischen Tugenden wirkt für die neuen Formen sicher ein Stück weit kontraproduktiv.

Kommunikationsforen wie dieser Blog, Off - spaces und andere Initiativen die von Künstlern ausgehen schaffen Möglichkeiten die mühselige Karriereleiter für Künstler über Galerien, Kuratoren und Museen zumindest ein Stück weit zu umgehen. Dort geschehen die wirklich interessanten Neuerungen. Eigentlich gilt es nur abzuwarten bis sich der schwerfällige Koloss des Kunstbetriebs selbst überholt hat und zusammenbricht...
So lang kann das ja auch nicht mehr dauern...

Mark Staff Brandl said...

Amen, Alex-max! Let's criticize often and hard --- but turn it into something productive, --- dare I say it --- positive --- at every possible turn!

max (alex Meszmer) said...

Right.
During my study times I started trying out all kinds of versions doing art and presenting it without getting involved with the whole art bussiness.
My dear fellow students observed this enviously while sitting in their studios waiting for their time to come.

It's so boring in the ivory tower!
Alone all the time.
Nothing to happen!
Life is outside - even some academid painters in 19. century realized that.
:-)

Anonymous said...

ABWARTEN...? ja Abwarten, bis der schwe-
fällige Goliath des Kunstbetriebs sich
selbst überholt hat und zusammenbricht?
Der Koloss wird aber gefüttert und wächst als globaler Körper in weltweiter
Ausdehnung, während die Kunst als Lecker
bissenproduktion, für die Schaufenster
des Establishment eingespannt, ihre in-
nere Kraft verschwendet. Nach wie vor hat Entwicklung mit Entfaltung von
Kreativität im Gesellschaftsorganismus zu tun.
Soweit kreativität im System instrumen-
talisiert bleibt, pflegt sie die Inten-
tionen der Bevormundungsstruktur, was
weltweit tadellos funktioniert.
Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die technokratische Elite, als Konzept der Globalisierung, ohne ein Eingreifen
autonomisierter Gegenmassnahmen, einfach in sich zusammenbrechen würde !

Ohne neue Formen "davidischer" Kreativität, die sich als solidar-
produktive Prozesse, auf freundschaft-
licher Basis, in kulturbetriebliche
Massnahmen einmischen, wird "Alles beim
Alten" bleiben. Das "Alte" erfindet aber
weiter intelligente und "innovative"
Formen der Verschleierung, in die sich
Kreativität unbewusst einspannen lässt.

...es sei denn wir durchschauen sie.

www.kuenstlerarchiv.ch/herbertkopainig
tät

Anonymous said...

unsere aufgeblasene, pseudointellektuelle konzeptuelle welt........ braucht keine konzeptuelle kunst.

max (alex Meszmer) said...

Hmmm...das mag sein, aber was braucht sie dann?

sie braucht auch keine "pinsel dich frei und mal aus dir heraus malerei", oder "heuschober im sonnenuntergang ölschinken", sie braucht auch keine "bronzemenschen die in der stadt herumstehen und ach so toll ins stadtbild passen". braucht sie vielleicht "ach so hübsche papierschöpfgebilde" oder "mal wieder ne zeichnung zeichnung"? braucht sie mal wieder "evangelischen expressionismus" oder "intensive minimale zen zitate kunst"? oder brauchen wir wirklich "dumm in der gegend herumstehende blöde stadtbären" - wie auch stadtschwäne, kühe und was weiss ich noch für scheusslichkeiten?

ich meine, wenn wir so denken, dann können wir doch auch gleich das handtuch werfen und auf einer einsamen insel was in kokusnüsse schnitzen, oder?

Anonymous said...

Ja die Ordnungshüter sagen uns schon, was und welche Kunst das Volk braucht!
Vielleicht ist es jetzt aber Zeit, ein paar Schritte in Richtung freier Selbstbestimmung zu gehen...oder haben die Individuen das kreative Recht zur Entwicklung des eigenen Bewusstseins-
Fähigkeits-und Lebenspotenzials an die Endlos-Varianten der Erziehungsprogramme im Unterwerfungsprinzip endgültig verloren? Die Praxis der Wolfs-Ambitio- nen,im Sinne von der Macht des Stärkeren sind inzwischen langweilige Endlos-Loops der Wiederholung geworden. Die ewige Angst der frommen Eitelkeit, in den Köpfen der über allen Wolken schwebenden Facheliten, die ein Teil der Strategie zur Bewahrung und Züchtung des gewünsch- ten Kulturguts ist,soll bewahrt bleiben. Der Kult mit dem Genie muss weit weg vom Kadaver des Ungenügens stattfinden...
Bei Konfrontationen mit dem Rest der Welt wirds brenzlig, unangenehm und anstrengend.

www.kuenstlerarchiv,ch/herbertkopainig

Mark Staff Brandl said...

Does it really matter "what the world needs" in art? Who decides that anyway? And why? I know what I personally need to see, and that is more intelligent, more QUALITY-based artworks that are self-assured, not ass-kissing, but I can't say a specific genre or other is best or oppositely specifically "to blame."