MSB brainstorming

07 February 2007

Kuhn: HEIMSPIEL 06 - Auswärtsspiel
vor heimischem Publikum - Einige Abschweifungen


Noch einmal Heimspiel. Nachdem Meszmer bereits an der Wursttheke gespiesen und dann ziemlich verständnislos und schnöd über das Ostschweizer Kunstschaffen 2006 berichtet hat und nachdem man in der Lokalpresse die übliche endlose Aufzählung von Namen lesen konnte, ein who-is-where des St.Galler Heimspiels gewissermassen, ohne den geringsten Ansatz zu einer Kritik, und nachdem man in der überregionalen Presse dieses Spiel kaum zur Kenntnis genommen hat ... Also dann, noch einmal Heimspiel ...

Ein Heimspiel ist, wenn der heimische Klub im eigenen Stadion vor dem eigenen Publikum spielt. Man hofft dann auf den Heimvorteil und rechnet mit einem deutlichen Heimsieg. Alles andere wäre, grad in St.Gallen, eine Überraschung. Man kennt das: Das Publikum schreit und peitscht den eigenen Klub zum Sieg. Die andere Spiele sind Auswärtsspiele. Da sind dann von den eigenen Fans nur die eingefleischten dabei und das Spiel wird, eben vor dem Heimpublikum des Gegners, um so schwerer.

Zum Sport gibt es in der Ostschweizer Kunst diesen Dezember und Januar keine Parallelen. Also ist der Titel für die Ausstellung Ostschweizer Kunstschaffen 2006 im Kunstmuseum, der Kunsthalle und im Projektraum exex verfehlt. Oder weckt falsche Erwartungen. Die meisten teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler leben nicht in der Ostschweiz und kehren nur für die Heimspiele in den Osten zurück. Und um sich für Stipendien zu bewerben gern auch zwischendurch. Alles nicht weiter schlimm: Denn die meisten wurden gezwungen wegzugehen. Zum Beispiel um Kunstausbildungen zu machen. Und auch klar, dass diejenigen, die nach Abschluss ihrer Studien wieder zurückkehren, in der krassen Minderzahl sind. Macht auch nichts: Man würde es vielen zu Hause gebliebenen Kunstschaffenden wünschen, es hätte ihnen irgendwann einer einen Tritt in den Arsch gegeben und sie aufgefordert ihre Kunst draussen in der Welt zu erproben. Wir hätten weniger schlechte Bewerbungen im Heimspiel-Archiv. Schliesslich braucht die Kunst den Test und die Reibung. Kunst die sich der Konfrontation entzieht ist selbstgenügsam, selbstgefällig und in den meisten Fällen unbedeutend. Wohl verstanden, nicht für die Künstlerin, den Künstler persönlich, sondern für einen zeitgenössischen Kunstdiskurs.

So ein Heimspiel hat also zwei Seiten. Durch den Reimport von quasieinheimischen Künstlerinnen fehlen die Plätze für die guten einheimischen Künstler. Wer die Listen der Bewerberinnen durchgeht, findet schnell eine ganze Reihe von Namen, die unbedingt hätten vertreten sein müssen in der Schau. Kunstschaffende, die seit Jahren in der Ostschweiz leben und kontinuierliche, professionelle Arbeit leisten. Von ihnen hätte man gerne nach drei Jahren zu Hause wieder etwas gesehen, vielleicht zu wiederholtem, vielleicht zum ersten Mal. Ein echtes Heimspiel eben und ein Test dazu: Vor den Freunden hat man schliesslich nicht nur den Heimvorteil, sondern ist immer auch besonders kritischen Kennerblicken ausgesetzt.

Natürlich ist es eine dringende Notwendigkeit für Anlässe wie ein Heimspiel die Künstlerinnen von auswärts zurück in die Ostschweiz zu bringen und damit Verbindungen zu reaktivieren, die vielleicht verloren waren. Es geht dabei um jene Künstler, die in Zürich, Genf, Basel, Düsseldorf und so weiter studiert haben und dadurch längere Zeit abwesend waren. Ihre Erfahrungen, vor allem an Kunsthochschulen und im Austausch mit anderen Kunstszenen sind für die Ostschweizer Kunstprovinz von unschätzbarem Wert. Diese Idee rechtfertigt auch den Umstand, dass die Vorarlberger zum zweiten Mal Gast am Heimspiel sind. Die Ostschweiz gewinnt dadurch beträchtlich an Boden: und reicht im Osten jetzt mindestens bis Wien!

Beide Aspekte sind zum Beispiel für die Arbeit im Projektraum exex integraler Bestandteil der vermittelnden Arbeit: Die Konfrontation regionaler mit überregionalen Positionen. Im exex allerdings geht das Konzept von streng kuratierten Ausstellungen aus und erweckt nicht in öffentlichen Ausschreibungen die Hoffnung, dass der Raum für alle offen sei. Denn das ist er nicht! Ein Kuratorinnenteam steht letztlich auch für die Qualität des Programms ein. Das ist im Heimspiel anders. Die Ausschreibung suggeriert eine breite regionale Abstützung nicht nur auf organisatorischer Basis, sondern auch auf künstlerischer. Die einheimischen Künstler stellen dann regelmässig nach Veröffentlichung der auserwählten Namen fest, dass die Region wieder einmal zu kurz gekommen ist ... während Auswärtige das hohe Niveau der Dreijahresschau loben.

Ob es die Angst ist, dass das Niveau des Heimspiels unter ein erträgliches Mass sinken könnte, wenn man den Titel der Schau allzu wörtlich auslegen würde, oder ob es tatsächlich so ist, dass die einheimische Kunst nicht nur quantitativ, sondern eben auch qualitativ nicht ausreichen würde eine grosse triennale Schau zu bestücken, sei dahingestellt. Aber vielleicht würde es sich lohnen mit der Form, die wir jetzt drei Mal identisch durchexerziert haben, ein bisschen herumzuexperimentieren.

Dazu nur mal schnell ein paar Ideen. Vielleicht mit einem neuen Jurierungs-Prozedere? In der Ostschweiz ist es eine zu hundert Prozent auswärtige Jury, die die Teilnehmerinnen auswählt (wobei seit dem ersten Heimspiel nicht ganz klar ist, was unter dem Mitsprachrecht und der Beratungsfunktion der Institutionen zu verstehen ist). Im Kanton Graubünden ist die Jury beispielsweise zusammengesetzt aus einheimischen und externen Sachverständigen, während in Basel die teilnehmenden Häuser je eine Jury stellen, die für die eigenen Räume aus den Eingaben Teilnehmer auswählt. Glarus dagegen zeigt im Kunsthaus seit Jahren unjurierte Ausstellungen. Dieses Jahr sind die Künstler von R bis Z an der Reihe. Und ein wesentlicher Unterschied: alle erwähnten Institutionen richten ihre Übersichtsausstellungen jährlich aus. Und auch nur nebenbei: Die erwähnten Vorgehensweisen garantieren weder für eine gleichbleibend hohe Qualität der Jahresschauen (der Jahrgang 2006 zeigt dies überdeutlich), noch für eine grössere Zufriedenheit unter den einheimischen Künstlern.

Oder müsste man die Teilnahmebedingungen überdenken? Vielleicht wären Medien- (Malerei, Video und so weiter) oder Regionalschwerpunkte (Fürstenland, Rheintal und andere) eine Idee? Und dann auch Teilnahmen der Kunsthalle Wil, des Shed im Eisenwerk Frauenfeld, der in Gründung begriffenen Kunsthalle Toggenburg in Wattwil (und selbstverständlich anderer Institutionen zwischen Rapperswil und Kreuzlingen) ein Thema. Kann ja sein, dass eine Dezentralisierung des Heimspiels der Provinz eher entspricht als der Zusammenzug der Szene in der Kapitale.

Oder eben: man unterscheidet für einmal zwischen dem Heimspiel und dem Auswärtsspiel und macht das Thema explizit. Zuerst ein echtes Heimspiel: Was bedeutet es in der Ostschweiz zu arbeiten, hier zu bleiben? Wie kann das gehen? Hält man das überhaupt aus, und wenn ja, wie? Und im andern Jahr das Auswärtsspiel: Was zwingt einen wegzugehen? Und was hindert die meisten daran zurückzukommen? Und vielleicht kehren wir dann im dritten Jahr zum aktuellen Modell zurück: Weil man daran am besten zeigen kann, wie das mit der Kunst auf dem Lande funktioniert .... Und im vierten Jahr mieten wir selbstverständlich ein grosses Industrieareal und machen die seit längerem vermisste unjurierte Jahresausstellung und veranstalten einen bunten Zirkus des Ostschweizer Kunstschaffens!

Platte Wahrheit: Alle Künstlerinnen werden nie zufrieden sein mit den Heimspielen. Vor allem wenn sie von auswärtigen Jurys übergangen wurden. Auch die beteiligten Institutionen werden mit den Heimspielen immer Ausstellungen auszurichten haben, die sie kuratorisch nur zum Teil mitverantworten können. So viel ist klar. Aber vielleicht können wir in der Ostschweiz mit einem neuen Vorgehen, das von den Erfahrungen aus den drei Heimspielen profitiert ein neues Modell lancieren, das den Gegebenheiten besser gerecht wird und wieder für Überraschungen gut ist.

Denn genau das ist die grösste Kritik am HEIMSPIEL 06: Alles auf der sicheren Seite, viele sichere Werte, sehr hohes Niveau, klar, aber keine Überraschungen. Und das kann und will man einfach nicht glauben, dass der Osten für keine Überraschungen mehr gut ist ...

4 comments:

Mark Staff Brandl said...

Exzellente und zutreffender Kommentar Matthias --- und sowieso es ist schön dich hier zu lesen. ich hoffe oft deine klar-durch-gedachte Stimme hier zu hören!

What you criticize hits the nail DIRECT on its tiny little head! My own far-more-vicious Shark appraisal will follow. WE need a major discussion , perhaps through exex about all this.

Alex/Max began, you continue, I'll come on board soon. then let's start doing soemthing. It can't go on like this. As I wrote in my list of "Probleme": (Nr. 12)

"In unsere Schranken gewiesen worden" --- jenseits der verschleierten Beleidigung: Wie wurde eine WAHRE Ausstellung von Ostschweizer Kunstschaffenden aussehen?

"Put in Our Place" --- Beyond Veiled Insult, What Would a Genuine Overview Exhibition of Eastern Swiss Artists Look Like?

Mark Staff Brandl said...

I do GREATLY disagree with one thing, though, Matthieu, your statement "sehr hohes Niveau, klar, aber keine Überraschungen. "

I think the show has an overwhelmingly LOW level --- bad to the point of tears. It is priamrily boring, trendy Curatorially Correct work based on conceits already 15 years old at elast, attempting to be cool and thus worse than not. Come, this is late 80s crap. And mostly poorly made. That certain curators or juries do not see that is proof of THEIR provinciality, or perhaps the provinciality of switzerland as a whole?

I suspect you too see that, and simply wished to couch your criticism in a nod of friendliness, which is fine for you, but I think is unnecessary. let's call a spade a spade.

Anonymous said...

Weil beim Umfang der künstlerischen Leistungen ein permanentes und stetes Wachstum feststellbar ist, jedoch die Räumlichkeiten und Orte der Kunst-vermittlung, nicht wesentlich mehr geworden sind, hält man weiter am System der Auslese und Selektion fest. Vielleicht ist dies der grosse Jahrhundert-IRRTUM schlechthin ! Sie, die Verfechter, Verwalter und Fürsprecher der Selektionstheorie, die KünstlerInnen für grosse und kleine Tiere halten, predigen seit Jahrzehnten immer das gleiche alte Lied von Niveau, Qualität, kuratorischer Verantwortung, zeitgenössischer Professionalität und Innovation, wohl um Kreativität weiter in Museumssärgen einzubalsamieren. Der reissende Strom der Kreativität darf nicht in die Lebensbereiche vordringen. Dafür sorgen Kanäle, Dämme und Schleusen wodurch die fliessenden Gewässer unter Kontrolle gebracht und instrumentalisiert bleiben. Lassen wir doch der Kreativität einmal ihren freien, offenen, unkontrollierten Verlauf, um die ausgetrockneten Lebensbereiche wieder fruchtbar zu machen. Kümmern wir uns um ein HEIMSPIEL das überall sonst, nur nicht im Museum-Kanälen, Halle-Schleusen und exex-Reservoirs, stattfinden könnte , sondern in allen anderen Lebensräumen. Darüber sich Gedanken zu machen wäre sinnvoll.

www.kuenstlerarchiv.ch/herbertkopainig

Anonymous said...

Kuh-unst-schau